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Staat

Mit der Entwicklung des Privatbesitzes und den damit verbundenen Klassengegensätzen entstand für die besitzenden Klassen die Notwendigkeit einer mit allen technischen Mitteln ausgerüsteten politischen Organisation zum Schutz ihrer Privilegien und zur Niederhaltung der breiten Massen – der Staat. Ist der Staat somit in erster Linie ein Produkt des Privatmonopols und der Klassenteilung, so wirkt er, einmal in Existenz, mit allen Mitteln der List und Gewalt für die Aufrechterhaltung des Monopols und der Klassenunterschiede, folglich für die Verewigung der wirtschaftlichen und sozialen Versklavung der breiten Masse des Volkes und hat sich im Laufe seiner Entwicklung zur gewaltigen Ausbeutungsinstitution der zivilisierten Menschheit empor geschwungen.

Die äußerliche Form des Staates ändert an dieser geschichtlichen Tatsache nichts. Monarchie und Republik, Despotie oder Demokratie – sie alle stellen nur verschiedene politische Ausdrucksformen des jeweiligen wirtschaftlichen Ausbeutungssystem dar, die sich zwar in ihrer äußerlichen Gestaltung, nie aber in ihrem innerlichen Wesen voneinander unterscheiden und in allen ihren Formen nur eine Verkörperung der organisierten Gewalt der besitzenden Klassen sind.

Mit der Entstehung des Staates beginnt die Ära der Zentralisation, der künstlichen Organisation von oben nach unten. Kirche und Staat waren die ersten Vertreter dieses Systems und sind bis heute seine vornehmsten Träger geblieben. Und da es im Wesen des Staates liegt alle Zweige des menschlichen Lebens seiner Autorität unterzuordnen, so muß die Methode der Zentralisierung desto verhängnisvollere Folgen haben, je mehr der Staat den Kreis seiner Funktionen erweitern und ausbauen konnte. Ist doch der Zentralismus die extremste Verkörperung jenes Systems, das die Regelung der Angelegenheit Aller, einzelnen Personen in Bausch und Bogen überträgt.

Dadurch wird der Einzelne zur Marionette, die von oben her gelenkt und geleitet wird, ein totes Rad in einem ungeheuren Mechanismus. Die Interessen der Allgemeinheit müssen den Privilegien einer Minderheit das Feld räumen, die persönliche Initiative dem Befehl von oben, die Verschiedenartigkeit der Uniformität, die innere Verantwortlichkeit einer toten Disziplin, die Erziehung der Persönlichkeit einer geistlosen Dressur. – und das alles zu dem Zwecke, loyale Untertanen heranzubilden, die an dem Fundament des Bestehenden nicht zu rütteln wagen, willige Ausbeutungsobjekte für den kapitalistischen Arbeitsmarkt. So wird der Staat zum mächtigsten Hemmnis jedes Fortschritts und jeder kulturellen Entwicklung, zum festen Bollwerk der besitzenden Klassen gegen die Befreiungsbestrebungen des arbeitenden Volkes.

Rudolf Rocker: Prinzipienerklärung des Syndikalismus (1919)

Syndikalismus

Die Syndikalisten, in klarer Erkenntnis der oben festgestellten Tatsachen, sind prinzipielle Gegner jeder Monopolwirtschaft.

Sie erstreben die Vergesellschaftung des Bodens, der Arbeitsinstrumente, der Rohstoffe und aller sozialen Reichtümer; die Reorganisation des gesamten Wirtschaftslebens auf der Basis des freien, d. h. des staatenlosen Kommunismus, der in der Devise: „jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach, seinen Bedürfnissen!“ seinen Ausdruck findet.

Ausgehend von der Erkenntnis, daß der Sozialismus letzten Endes eine Kulturfrage ist und als solche nur von unten nach oben durch die schöpferische Tätigkeit des Volkes gelöst werden kann, verwerfen die Syndikalisten jedes Mittel einer sogenannten Verstaatlichung, das nur zur schlimmsten Form der Ausbeutung, zum Staatskapitalismus, nie aber zum Sozialismus führen kann.

Die Syndikalisten sind der Überzeugung, daß die Organisation einer sozialistischen Wirtschaftsordnung nicht durch Regierungsbeschlüsse und Dekrete geregelt werden kann, sondern nur durch den Zusammenschluß aller Kopf- und Handarbeiter in jedem besonderen Produktionszweige: durch die Übernahme der Verwaltung jedes einzelnen Betriebes durch die Produzenten selbst und zwar in der Form, daß die einzelnen Gruppen, Betriebe und Produktionszweige selbständige Glieder des allgemeinen Wirtschaftsorganismus sind, die auf Grund gegenseitiger und freier Vereinbarungen die Gesamtproduktion und die allgemeine Verteilung planmäßig gestalten im Interesse der Allgemeinheit.

Die Syndikalisten sind der Meinung, daß politische Parteien, welchem Ideenkreis sie auch angehören, niemals imstande sind, den sozialistischen Aufbau durchführen zu können, sondern daß diese Arbeit nur von den wirtschaftlichen Kampforganisationen der Arbeiter geleistet werden kann. Aus diesem Grunde erblicken sie in der Gewerkschaft keineswegs ein vorübergehendes Produkt der kapitalistischen Gesellschaft, sondern die Keimzelle der zukünftigen sozialistischen Wirtschaftsorganisation. In diesem Sinne erstreben die Syndikalisten schon heute eine Form der Organisation, die sie befähigen soll, ihrer großen historischen Mission und in derselben Zeit dem Kampfe für die täglichen Verbesserungen der Lohn- und Arbeitsverhältnisse gerecht zu werden.

[…]

Als Gegner jeder staatlichen Organisation verwerfen die Syndikalisten die sogenannte Eroberung der politischen Macht, und sehen vielmehr in der radikalen Beseitigung jeder politischen Macht die erste Vorbedingung zu einer wahrhaft sozialistischen Gesellschaftsordnung. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist aufs engste verknüpft mit der Beherrschung des Menschen durch den Menschen, so daß das Verschwinden der einen notwendigerweise zum Verschwinden der anderen führen muß.

Die Syndikalisten verwerfen prinzipiell jede Form der parlamentarischen Betätigung, jede Mitarbeit in den gesetzgebenden Körperschaften – ausgehend von der Erkenntnis, daß auch das freieste Wahlrecht die klaffenden Gegensätze innerhalb der heutigen Gesellschaft nicht mildern kann und daß das ganze parlamentarische System nur den Zweck verfolgt, dem System der Lüge und der sozialen Ungerechtigkeit den Schein des legalen Rechts zu verleihen – den Sklaven, zu veranlassen, seiner eigenen Sklaverei den Stempel des Gesetzes aufzudrücken.

[…]

Dasselbe ist mit dem Wort „Syndikalismus“ der Fall, das nicht mehr wie Vereinigung heißt. Es gibt kapitalistische und es gibt gewerkschaftliche Syndikate. Es handelt sich also nicht um das Wort an und für sich, sondern um die Idee, die es deckt. Wenn das Wort den Gegnern der Volksbestrebungen heute verhaßt ist, so ist es deshalb, weil die Bestrebungen und Methoden der syndikalistischen Bewegung den herrschenden Klassen gefährlich erscheinen. […] Man braucht sich auf das Wort „Syndikalismus“ ja nicht versteifen; allein es gibt einen Umstand, der uns gerade verpflichtet, den alten, sturmerprobten Namen auch fernerhin beizubehalten. Unsere Bewegung ist nämlich nicht nur nationaler, sondern internationaler Natur. Der in Deutschland so verpönte Syndikalismus ist in manchen Ländern die wirtschaftliche Einheitsorganisation des Proletariats geworden, deshalb ist das Wort das Erkennungszeichen, das uns mit unseren Brüdern jenseits der deutschen Grenzen verbündet.

Rudolf Rocker: Prinzipienerklärung des Syndikalismus (1919)